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Redebeitrag zur Kundgebung Gerechtigkeit für Mikael Haile! am 27.04.2021

Hallo zu allererst einmal –

Danke an alle die heute zur Gedenkkundgebung für Mike gekommen sind, der am 26.04. in seiner Wohnung von der Polizei erschossen wurde. Wir möchten aus der Perspektive von Menschen, die nicht von Rassismus betroffen sind, dazu aufrufen, laut zu werden. Jeden Tag erfahren migrantisierte Menschen und BIPoC (Black, Indigenous and People of Colour) in Deutschland Alltagsrassismus und Diskriminierung. Es kann und darf nicht sein, dass wir als Mitmenschen wegschauen und von Rassismus betroffene Menschen in diesen Situation allein lassen. Ob in der Bahn bei Fahrtkartenkontrollen, bei Verkehrskontrollen, Personalkontrollen auf der Straße oder am Bahnhof, beim Einkaufen beim Einkaufen oder sonst wo. Auch wenn der Fall von Mike den worstcase darstellt, den Tod, so ist dies nur die Spitze des Eisbergs. Rassistische Gewalt fängt schon viel niedrigschwelliger an und kann und darf nicht übersehen und klein geredet werden.

Es geht dabei nicht nur um Solidarität den Betroffenen gegenüber, sondern, um die Verantwortung sich für die Abschaffung dieses unterdrückenden Systems einzusetzen. Das erfordert erst einmal eine fortlaufende Auseinandersetzung, Selbstreflexion und täglichen Einsatz.

Menschen, die nicht betroffen sind, müssen sich darüber klar werden, was alles selbstverständlich für sie ist und was mit ihren Privilegien zusammenhängt. So ist es für viele Menschen sicher, sich in „Problemstadtteilen“ wie Altendorf, Altenessen oder der Innenstadt/Nordviertel aufzuhalten, allein aufgrund ihres Aussehens. Doch genauso ist die Fortbewegung hier für viele andere Menschen mit Gefahr verbunden. Aufgrund des Aussehens, werden Menschen stigmatisiert und als potentielle Gefährder:innen wahrgenommen. Sie müssen mit ständigen, rassistischen Kontrollen, Beleidigungen und Auseinandersetzungen rechnen. Das darf nicht die Realität bleiben. Und darum ist es so wichtig, als Mensch, der nicht von Rassismus betroffen ist, laut zu werden und gegen diese in unserer Gesellschaft verwurzelte Ungerechtigkeit anzugehen.

Eine Frage, die ihr für euch selbst beantworten könnt: Was denkt ihr wie ihr von außen wahrgenommen werdet?

Der erste Schritt ist die Bewusstwerdung der Eigenen Wirkung und damit einhergehende Privilegien.

Es folgen einige (aufs Wesentliche reduzierte) Beispiele aus dem Alltag ‚weiß‘ gelesener Menschen:

In der S-Bahn: „Ich sprinte mit meinem Rad die Treppen hoch zum Gleis und bekomme grade so die letzte Bahn. Fuck, kein Ticket gekauft. Scheiße da ist auch schon das DB-Personal. Ich fange an mich rauszureden und kann raushandeln ein Online-Ticket zu kaufen. Eine Person of Color bietet mir an mich auf ein Studi-Ticket mitzunehmen. Der bisher freundliche Sicherheitsdienst der DB dreht sich um und wird laut und spricht so deutlich, dass es fast wieder unverständlich ist bei dem Gebrüll: „Das ist illegal, wenn du das nochmal sagst, hol ich die Polizei, das ist eine Straftat.“ Weiße Person inkl. Fahrrad illegal ohne Ticket in der Bahn – voll ok! BIPoC mit Ticket die helfen möchte – Polizei holen.“

„Ich sehe eine Ansammlung von Bullen im Hbf. Ich fühle mich unwohl, obwohl ich weiß, dass ich sie nicht interessiere: weiblich gelesen und weiß – das beste Argument gegen einen „konkreten Verdacht“ an einem Dienstagvormittag um 9:30 Uhr.“

„Nachdem ich einige Male von Faschisten angemacht, gejagt und geschlagen worden bin habe ich mich entschlossen keine politischen Symbole mehr auf meiner Kleidung zu tragen, um mich so dieser überall lauernden Gefahr zu entziehen. Dieser Stress, dass einfach jederzeit ein Mensch auftauchen und sich dazu entscheiden kann dir das Leben zur Hölle zu machen, war für mich unerträglich und hat mich dazu gebracht, dass ich mich immer mehr aus dem öffentlichen Leben zurückgezogen habe.

Schwarze Menschen oder BIPoC können ihr Äußeres nicht einfach so ablegen und sind dadurch immer diesem Stress und der damit einhergehenden Gefahr ausgesetzt. Egal, ob durch Nazis, rechtsoffene oder rassistische Mitbürger:innen, Kontrolleur:innen oder eben auch die rassistische Polizei.“

Wir ‚weiß‘ gelesenen Menschen müssen uns darüber im Klaren werden, mit welchen Privilegien und besonders, mit welcher selbstverständlichen Sicherheit wir uns in unserem Alltag bewegen können. Besonders nach dem letzten Jahr sollten wir gemerkt haben, wie anstrengend ein Alltag voller Unsicherheiten, Kontrollen und Bedenken bei Kontakten zu anderen Menschen sein kann. Und das ist nicht ansatzweise Vergleichbar, da die Pandemie uns alle betrifft – Rassismus, institutionelle und gesellschaftliche Diskriminierung und besonders (Polzei)gewalt trifft diejenigen, die schon viel zu lange Ausgrenzung, Marginalisierung und der Exekutives des Staates in dem sie leben leiden und sogar um ihr Leben bangen müssen.

Wenn ihr also nicht nur erkennen möchtet, dass es einen Unterschied macht, wie ein Mensch aussieht und dass ‚weißsein‘ Selbstverständlichkeiten und ausschließlich Vorteile mit sich bringt, sondern auch etwas gegen dieses unterdrückende System tun möchtet, ist der zweite wichtige Schritt:

Zieht die notwendigen Konsequenzen für euren Alltag. Wenn ihr Zeug:in einer rassistischen Polizeikontrolle werdet, könnt ihr Folgendes tun:

  • Kann ich eingreifen? Und wie kann ich dies tun? Hilft es, sich einzumischen oder ist die Situation noch nicht so brenzlig, sodass ich die betroffene Person erst einmal ansprechen kann?
  • Sprecht das Opfer an, nicht die Bullen. Fragt nach dem Konsens der Person, welche z.B. in einer rassistischen Polizeikontrolle steckt. Bietet eure Hilfe an. Wenn die betroffene Person verneint, könnt ihr z.B. dennoch anbieten in der Nähe zu bleiben, falls sich der Bedarf nach Unterstützung im weiteren Verlauf doch ergeben sollte.
  • Seid wachsam. Beobachtet die Situation und die Umgebung. Nähern sich noch weitere Gefahren für die betroffene Person?
  • Bietet euch als Zeug:in an. Ggf. könnt ihr auch andere umstehende Personen ansprechen dies zu tun.
  • Fragt Polizist:innen nach der Dienstnummer.
  • Schreibt ein Gedächtnisprotokoll, sodass die Situation für euch aktuell und deutlich bleibt, wie ihr sie wahrgenommen habt. Außerdem:
  • Falls Gewalt droht und ihr euch z.B. körperlich nicht in der Lage fühlt dazwischen zu gehen, sprecht Menschen aktiv an, ob diese euch unterstützen können. Wir appellieren hiermit an jede Person, die das Privileg hat, öffentlich als ‚weiße‘ Person gelesen zu werden, über die eigenen Selbstverständlichkeiten nachzudenken und öffentlich für jene einzustehen, die diese Privilegien nicht haben.
  • Wenn BIPoC involviert sind: Ruft nicht die Polizei! Mikael Haile ist das beste Beispiel dafür, wie es ausgehen kann – und das ist KEIN EINZELFALL! Solange wir uns selbst nicht als Teil des unterdrückenden Systems verstehen, reproduzieren wir dieses und sind fester Bestandteil des Problems. Denn Rassismus tötet! und Black lives Matter, auch in unserer Nachbarschaft! Mikael Haile – das war Mord!

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